SELBSTSTRUKTURIERUNG


 

Bei langfristiger Arbeitsunfähigkeit kann es zu einer großen Herausforderung werden, seine Tage selbst zu strukturieren. Wenn keine Termine wahrzunehmen oder Dinge in von außen festgelegten Zeitfenstern zu erledigen sind, ist es oft schwer, nicht in Passivität zu verfallen. Insbesondere, wenn eine Depression oder das Gefühl der Sinnlosigkeit einen Grauschleier über alles legt, scheint es oft kaum möglich, der drohenden Lethargie konsequent entgegenzutreten. Mir fiel dieser Aspekt äußerst schwer und ich brauchte viele Monate, um damit umgehen zu lernen.

Geholfen hat mir dabei, für mich die folgenden Fragen zu klären und zwar immer wieder, sobald sich eine Tendenz zur Passivität zeigte.

 

1. Was möchte ich heute machen? Was könnte mir gut tun?

 Das könnte sein:

  • duschen
  • meinen Couchtisch oder einen anderen kleinen (!) Bereich meiner Wohnung aufräumen (wenn es gelingt und mir Freude bereitet, kann ich auch mehr machen)
  • nach weiteren Therapiemöglichkeiten suchen
  • die Übungen aus der Physiotherapie zuhause machen
  • spazieren gehen
  • eine Freundin oder einen Freund treffen oder anrufen
  • etwas kochen
  • eine Tageszeitung lesen
  • ins Kino gehen
  • eine Massage buchen
  • mich mit der Frage beschäftigen: Weiß ich eigentlich, was mir gut tut?

2. Wenn das schwer fällt: Was brauche ich, damit es gelingt?

Das könnte sein:

  • mit meinen Angehörigen und Freunden darüber sprechen, dass ich es mir schwer fällt, meine Tage allein zu strukturieren, und sie um Unterstützung bitten
  • mit meiner Ärztin/ meinem Arzt darüber sprechen und eine Depression abklären lassen, da sie oft mit einem Antriebsmangel einhergeht, der die Situation zusätzlich erschwert
  • Hilfe annehmen

3. Wenn die Gestaltung von einzelnen Tagen gelingt, …

… kann ich zu der Frage übergehen: Welche Dinge möchte ich alle zwei Tage oder einmal im Monat oder … machen? Was bereitet mir Freude? Was interessiert mich? Was ist mir wichtig?

Das könnte sein:

  • immer noch die Übungen aus der Physiotherapie zuhause machen
  • in einem Verein mitwirken oder ehrenamtlich tätig sein
  • nach Weiterbildungen suchen, die mir trotz Krankheit oder Behinderung neue Wege eröffnen
  • mit alten Kollegen oder Freunden wieder Kontakt aufnehmen
  • einem Hobby nachgehen
  • ein Museum besuchen

 

4. Was brauche ich dafür, um diese Dinge zu realisieren?

Das könnte sein:

  • ein Versprechen, das ich mir selbst gebe und um dessen Einhaltung ich mich heute bemühe
  • ein konkreter Tagesplan, den ich sichtbar aufhänge und den ich einhalten möchte
  • eigene Termine machen (z.B. zur Physiotherapie oder zum Kinobesuch)
  • eine Freundin / die Familie um Unterstützung bitten
  • eine Gruppe, mit der ich über die dabei auftretenden Probleme sprechen kann
  • mich in einem Verein anmelden oder ehrenamtlich tätig sein
  • Informationen zu anderen Angeboten oder Aktivitäten einholen
  • mich für ein Angebot oder eine Aktivität entscheiden und entsprechend handeln

 

5. Was brauche ich, wenn ich es trotzdem nicht schaffe?

Das könnte sein:

  • mir eingestehen, dass ich es allein im Moment nicht schaffe
  • herausfinden und aufschreiben, was genau so schwierig daran ist und an welchen konkreten Punkten ich nicht allein zurecht komme
  • mit meinen Angehörigen und Freunden über mein Problem sprechen und sie um Unterstützung bitten
  • mit ihnen konkrete Hilfe vereinbaren („Man müsste mal überlegen …“ oder „Man sollte mal machen …“ hilft nicht!) und Absprachen treffen
  • nochmals mit meiner Ärztin oder meinem Arzt sprechen und um – professionelle – Hilfe zu bitten
  • (professionelle) Hilfe annehmen

 

Zusätzlich zu der Klärung dieser Fragen braucht es unendlich viel Ausdauer, Frustrationstoleranz und Kraft, um sich selbst eine gute Tagesstruktur zu geben. Und manchmal auch Nachsicht sich selbst gegenüber, wenn es nicht gleich gelingt. Doch es geht nicht um das Gelingen selbst, sondern um das Bemühen, dass es – vielleicht irgendwann – gelingt.

Und nicht zuletzt haben mir – von mir so bezeichnete – Kernsätze geholfen, die ich mir zum Teil auf Postkarten, zum Teil auch handgeschrieben sichtbar hingehängt habe, bis ich sie so verinnerlicht hatte, dass sie in schwierigen Situationen von allein in meinen Gedanken auftauchten. Zu diesen gehören zum Beispiel „Machen ist wie wollen, nur krasser.“ Oder „Das Ziel muss nicht groß sein, sondern klar.“ Beide hatte ich irgendwo im Berliner Stadtbild aufgeschnappt, sie sind bis heute eine große Hilfe für mich.